Soziale Ängste
Infos zur Entstehung, Diagnostik und Behandlung
Wie häufig sind soziale Ängste?
Bei der Sozialen Angststörung handelt es sich um eine weit verbreitete Angsterkrankung, die in Europa eine Lebenszeitprävalenz von ca. 7% aufweist. Das bedeutet, 7 von 100 Personen entwickeln im Laufe ihres Lebens soziale Ängste mit Krankheitswert. Jüngere Personen sind dabei öfters betroffen als ältere Personen und Frauen etwas häufiger als Männer. Die ersten Anzeichen einer Sozialen Angststörung zeigen sich meist im Jugend- und frühen Erwachsenenalter. Ein Beginn der Symptomatik ab dem 25. Lebensjahr ist hingegen eher selten.
Interessant ist auch, dass 70-80% aller Personen mit einer Sozialen Angststörung eine weitere psychische Störung (v.a. andere Arten von Angsterkrankungen, depressive Erkrankungen oder Abhängigkeitsstörungen) aufweisen. Es bleibt jedoch offen, ob eine Soziale Angststörung das Auftreten weiterer Störungen verursacht/ begünstigt oder ob es eine oder mehrere gemeinsame Ursachen (z.B. Misshandlung in der Kindheit) für das Auftreten der Doppel-/ Mehrfachdiagnosen gibt.
Zumindest bei depressiven Erkrankungen und Abhängigkeitserkrankungen konnte gefunden werden, dass diese zeitlich häufig erst nach der sozialen Angstsymptomatik auftreten. Dies lässt vermuten, dass die Einschränkungen im sozialen Leben der Betroffenen zu depressiven Verstimmungen führen können oder dass bestimmte Substanzen (z.B. Alkohol, Drogen) als eine Art Selbstmedikation eingesetzt werden, die dann schlussendlich auch zu Abhängigkeiten führen können.
Welche Ursachen hat die Soziale Angststörung?
Die Ursachen für die Entstehung sozialer Ängste und Phobien können von Person zu Person sehr unterschiedlich sein. Als Risikofaktoren für die Soziale Angststörung kommen sowohl biologische als auch psychosoziale Faktoren in Frage.
Zu den biologischen Risikofaktoren zählt unter anderem eine gewisse genetische Veranlagung, wobei Studien eher vermuten lassen, dass die genetische Komponente weniger Einfluss hat als die psychosoziale Komponente. Zu letzterer zählen die Persönlichkeit, der Erziehungsstil oder maladaptive Verhaltens- und Denkmuster.
Zum Beispiel konnte in Studien gefunden werden, dass Kinder mit einer eher schüchternen und zurückhaltenden Persönlichkeit und einer gleichzeitig erhöhten physiologischen Aktivierung (behavioral inhibition) eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für zukünftige soziale Ängste haben. Auch kann eine elterliche Überbehütung in Kombination mit häufiger Zurück- oder Zurechtweisung das Risiko erhöhen.
Als Beispiele für maladaptive Verhaltens- und Denkmuster können ein bestimmtes Vermeidungsverhalten in sozialen Situationen oder negative kognitive Schemata (z.B. "Ich bin weniger kompetent als andere.") herangezogen werden. Dies hat dann häufig auch einen selbstverstärkenden Charakter: Wenn jemand zum Beispiel bestimmte soziale Situationen aus Angst davor vermeidet (z.B. Referat auf der Uni, Vorstellungsgespräch), dann führt das dazu, dass man sich weiterhin weniger kompetent fühlt als andere. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Angst vor ähnlichen zukünftigen Situationen sogar noch ansteigt.
Wie äußern sich Soziale Ängste?
Die Soziale Angststörung ist charakterisiert durch eine intensive und irrationale Befürchtung, von anderen negativ bewertet zu werden. Die sozialen Situationen, in denen diese Angst auftreten könnte, sind vielfältig und variieren stark von Person zu Person. Sehr viele haben Angst im Mittelpunkt zu stehen, etwas Peinliches zu machen, in Leistungssituationen zu versagen oder sich zu blamieren, ein Referat oder eine Präsentation zu halten, in der Öffentlichkeit zu essen oder zu Verabredungssituationen zu gehen. Diese Situationen werden dann entweder vermieden oder nur unter starker Anspannung und emotionalem Stress durchgestanden.
Hierbei ist es wichtig, eine Abgrenzung zu starker Schüchternheit vorzunehmen. Während Schüchternheit lediglich eine gewisse Persönlichkeitsausprägung ausdrückt, sind soziale Ängste als krankheitswertig zu verstehen, die meist mit einer gewissen Beeinträchtigung oder einem starken Leidensdruck einhergehen. Eine schüchterne Person könnte bei einem Referat auf der Uni zum Beispiel zwar auch sehr aufgeregt sein. Diese Aufregung würde ein gewisses Ausmaß nicht überschreiten und die Person könnte dennoch die erwartete Leistung erbringen. Eine Person mit sozialen Ängsten hingegen würde wahrscheinlich sehr starke Angst haben, die auch mit einer körperlichen Symptomatik einhergeht und die bis zu einem Blackout führen könnte.
Für eine Diagnosestellung können die folgenden Kriterien des DSM-V herangezogen werden (die Diagnosestellung für den ICD-11 Code 6B04 Soziale Angststörung ist sehr ähnlich):
- intensive Angst in einer oder mehrerer sozialer Situationen, in denen der/die Betroffene im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen könnte, sich peinlich verhalten könnte oder gedemütigt werden könnte
- die Konfrontation mit der sozialen Situation (oder nur daran zu denken) führt fast immer zu einer Angstreaktion, die auch mit einer typischen Angstsymptomatik einhergeht (z.B. Herzrasen, Atemnot, Zittern, Schwitzen)
- die Situationen werden entweder nur unter starkem Unwohlsein ertragen oder komplett vermieden
- die betroffene Person ist sich bewusst, dass die Angst unangemessen und übertrieben ist
- die Angst muss seit längerer Zeit (z.B. mind. 6 Monate) vorhanden sein
- die Angst oder das Vermeidungsverhalten führt zu einer merklichen Einschränkung in der Lebensführung und/oder verursacht einen starken Leidensdruck
Selbsttest Soziale Phobie
Der folgende Test dient lediglich Ihrer eigenen Einschätzung der Symptomatik. Auf eine Interpretation der Ergebnisse wurde bewusst verzichtet, da dies ausschließlich in Absprache mit einer dafür ausgebildeten Person erfolgen soll.
Welche der folgenden Aussagen treffen auf Sie zu?
Wie werden Soziale Ängste behandelt?
Für die Behandlung sozialer Ängste gibt es sehr unterschiedliche Zugänge und Ansätze. Jede Psychotherapierichtung hat eine etwas andere Sichtweise von der Entstehung und Aufrechterhaltung der Problematik und daher auch abweichende Behandlungsansätze. Die am häufigsten untersuchten Ansätze stammen aus der kognitiven Verhaltenstherapie. Als Klinischer Psychologe verwende ich hauptsächlich Interventionen aus diesem Bereich, wobei mir auch bewusst ist, dass es häufig weniger relevant ist, was genau gemacht wird, sondern unter welchen Umständen die Behandlung erfolgt. So ist es wichtig, dass eine vertrauensvolle Beziehung vorliegt, dass gemeinsame Ziele definiert und realistische Erwartungen an einen Behandlungserfolg aufgebaut werden.
Auf Seiten der Betroffenen ist es hingegen häufig schwierig, den ersten Schritt in eine psychologische Praxis zu wagen. Viele Betroffene haben schließlich auch Angst vor genau solchen Situationen, also in einem persönlichen Gespräch negativ bewertet oder beurteilt zu werden. Auch über sich selbst zu sprechen, kann für viele mit sozialen Ängsten sehr unangenehm sein. Hier ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass sich Psycholog*innen genau mit solchen Themen tagtäglich auseinander setzen. Psycholog*innen wollen Ihre Problematik möglichst gut verstehen und das auf eine möglichst objektive und unvoreingenommene Weise. Es kann auch hilfreich sein, gleich zu Beginn des Erstgespräch anzumerken, sehr aufgeregt zu sein. Psycholog*innen werden dann empathisch auf diesen Aspekt eingehen. So wird auch Ihr Erstgespräch gut gelingen können.
Nach dem Erstgespräch wird in meiner Praxis meist eine ausführliche Diagnostik durchgeführt. Dafür werden die entsprechenden Kriterien des DSM-V oder des ICD-11 abgeklärt und entschieden, ob das Ausmaß der Symptomatik die Diagnose einer Sozialen Angststörung (6B04) rechtfertigt. Aufgrund des hohen Risikos einer Komorbidität ist es wichtig, relevante andere psychische Erkrankungen zusätzlich zu diagnostizieren. Außerdem wird der Schweregrad der Problematik mit etablierten diagnostischen Verfahren eingeschätzt. Nur so kann das Gesamtausmaß der psychischen Problematik erfasst und passende Interventionen problem- und zielorientiert geplant werden. Dieser erste Schritt wirkt für viele Betroffene entlastend, weil sie das Problem dadurch besser einordnen können und auch bemerken, dass sie keinesfalls alleine sind mit ihrer Problematik.
Nach der Feststellung der Diagnose erfolgt die Psychoedukation, in der über die Ursachen und aufrechterhaltenden Bedingungen der Erkrankung informiert wird. Vor allem das kognitive Erklärungsmodell von Clark und Wells (1995) hat sich dabei für mich als sehr hilfreich erwiesen.
Ein wichtiger Teil der Behandlung, der grundsätzlich für alle Angsterkrankungen relevant sein kann, ist die Stärkung des Kontrollerlebens sowie das Erlernen von individuellen Angstbewältigungsstrategien. Dazu zählen die Vermittlung und das Training von Achtsamkeit, das Erlernen und Ausprobieren von Atemtechniken sowie der Einsatz von Wahrnehmungslenkungsübungen. Auch werden Entspannungsmethoden und das Biofeedbacktraining vermittelt, damit gelernt werden kann, den Körper zu entspannen und gezielt auf bestimmte physiologische Abläufe (z.B. Atmung, Hautleitfähigkeit, Muskelspannung, Körpertemperatur) einzuwirken.
In einem weiteren Schritt werden negative kognitive Grundannahmen (z.B. 'Ich bin peinlich.', 'Ich bin unfähig.') identifiziert. Diese entwickeln sich oft aufgrund bestimmter Erfahrungen in der Kindheit und persistieren bis ins Erwachsenenalter. Die kognitiven Grundannahmen, die spezifisch mit der Angst in Verbindung stehen, werden genau und realistisch betrachtet. Bei Bedarf erfolgt eine Umformulierung oder Modifizierung. Aus den Grundannahmen können außerdem situationsbedingte, automatische Gedanken und Bewertungen (z.B. "Ich werde komplett rot anlaufen.", "Ich werde kein Wort herausbringen.") resultieren. Diese gilt es ebenfalls zu identifizieren und auch zu analysieren, welche Auswirkungen diese Gedanken auf den Körper, die Emotionen oder das Verhalten haben. Der Realitätsgehalt dieser automatischen Gedanken wird ebenso in Frage gestellt und bei Bedarf durch neue und realistische Gedanken ersetzt.
Um die erlernten Angstbewältigungsstrategien und kognitiven Neubewertungen bestmöglich anwenden zu können, ist es im nächsten Schritt erforderlich, sich den angstbehafteten sozialen Situationen zu stellen und Verhaltensexperimente durchzuführen. In der Verhaltenstherapie nennt sich dies Exposition, die sowohl in der Vorstellung (in sensu) als auch in der Realität (in vivo) umgesetzt werden kann. Dieser Schritt stellt für die meisten Personen die größte Herausforderung dar. Hier ist es wichtig anzumerken, dass Sie immer nur soweit gehen brauchen, wie Sie sich das auch selbst zutrauen. Sie behalten also ständig die Kontrolle darüber. Durch die gesamte Vorbereitung werden Sie jedoch überrascht sein, welche Situationen Sie mittlerweile als bewältigbar betrachten, ohne das zu Beginn der Therapie erwartet zu haben.
Ihr Experte.
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